26.08.2013FDPArbeitsmarkt

BRÜDERLE-Interview für den "Deutschlandfunk"

Berlin. Der Spitzenkandidat zur Bundestagswahl, FDP-Präsidiumsmitglied und Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion RAINER BRÜDERLE gab dem "Deutschlandfunk" (Sonntag) das folgende Interview. Die Fragen stellte KLAUS REMME: Frage: Herr Brüderle, zunächst vielen Dank für das Gespräch und für die Gelegenheit, sich ausführlich zu unterhalten. Wir sind in Mainz zu Gast im Landesrundfunkhaus. Ich sehe, Sie sind ins Studio gekommen noch auf Krücken. Arbeiten Sie nach Ihrem Sturz schon wieder ein Vollpensum oder schonen Sie sich noch? BRÜDERLE: Nein, ich hab ja auch weiter gearbeitet direkt nach meinem Unfall, und seit zwei Wochen bin ich rund um die Uhr wie normal voll weiter im Wahlkampf-Einsatz. Gestern habe ich einen letzten Termin in Stuttgart gehabt, morgens um sieben angefangen in Nordhessen. Ich entlaste das Bein zeitweise noch ein bisschen. Aber ich kann sehr wohl ohne Krücken gehen, bei Veranstaltungen brauche ich sie nicht. Ich versuche, eine gute Mischung zu machen, es ist ja noch ein Marathonlauf bis zum Wahltag. Frage: Haben Sie überschlagsweise im Kopf, wie viele Veranstaltungen bis zum 22. September? BRÜDERLE: Wenn ich ab Wiederbeginn des Volleinsatzes rechne, also Montag vor einer Woche, sind es knapp 200. Frage: Und das macht Spaß? BRÜDERLE: Mir macht es Spaß, für mich ist es das beste Medikament, dass ich wieder endlich draußen bin und nicht nur per Telefon, per iPhone, per iPad arbeiten kann, sondern wieder an der Front quasi bin. Frage: Springen wir gedanklich mal nach Berlin. Was schätzen Sie an Jürgen Trittin? BRÜDERLE: Er ist jemand, der dezidierte Positionen vertritt, manchmal etwas von oben nach unten betrachtend, aber ich setze mich gern mit ihm auseinander. Ich bin sehr oft anderer Meinung als er. Für mich ist er zu apodiktisch, für mich hat er ein Stück Jakobiner in seinen Vorgaben. Wenn ich mal die Steuerpolitik als ein Beispiel herausgreife, da haben wir als liberale, freiheitliche Politiker politisch andere Auffassungen. Er möchte kräftig die Steuern erhöhen. Dahinter steht aber der Gedanke, man muss den Leuten mehr Geld wegnehmen, weil wir Politiker von den Grünen, die Roten genauso, besser wissen, was die richtige Verwendung der hart erarbeitenden Gelder ist als die Bürger. Und das stört mich, das halte ich für eine Fehlhaltung. Das war mal Ausfluss der Französischen Revolution, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit - damals schon Brüderlichkeit, obwohl ich nicht dabei war - ,dann kamen die Jakobiner mit Wohlfahrtsausschuss, das ist so ein Hauch von dem, was ich heute erlebe. Frage: Ich habe das jetzt mehrere Male beobachtet, ich erinnere an Dreikönig, auch an Ihre Rede beim Parteitag in Berlin. Da wundere ich mich manchmal, wie sehr sie sich an diesen Grünen, an dieser Partei, am Personal abarbeiten. Da reden Sie sich minutenlang in Rage, dass man als Hörfunkjournalist Mühe hat, überhaupt zu verstehen und zu schneiden. Und ich frage mich: Gehört da Schauspiel zur Staatskunst, oder sind Sie da regelrecht wütend? BRÜDERLE: Ich bin auch wütend, weil es wirklich eine Einstellung ist, die mir fremd ist, die mir auch ein Stück - ich sag es so direkt - zuwider ist. Nämlich diese Gouvernantenmentalität, das Vorschreiben, vom Veggie-Day angefangen über die Steuer auf Plastiktüten bis zur generellen Neigung. Wenn Sie mal das Programm der Grünen sehen, wie oft da Verbote drin vorkommen - alles für mich eine Reglementierung. Und das ist für einen Menschen, der in hohem Maße sein Leben selbst gestalten möchte, Eigenverantwortliches machen müsste, ist das eine zuwider laufende Haltung. Ich habe hier in Rheinland-Pfalz auch 15 Jahre als Landespolitiker mit der SPD koaliert, das ist eine andere Art der Zusammenarbeit. Mit den Grünen in dieser Weltmissions-Attitüde und diesem Jakobinertum, das geht mir wirklich gegen den Strich. Frage: Bleiben wir kurz bei der Farbenlehre. Sie bekennen sich offen dazu, nur eine einzige Koalitionsoption zu haben vor dieser Bundestagswahl. Ist das gesund? Für mich ist da eine gewisse Gefangenschaft offensichtlich. BRÜDERLE: Nein, das ist ein Stück Ehrlichkeit. Selbst wenn es rechnerisch mit Rot und Grün gehen würde, kann es inhaltlich nicht gehen. Ich nehme wieder mal die Steuerfrage als Beispiel. Beide wetteifern ja, wer mehr den Menschen wegnehmen will. Bei den Grünen ist es - ich sage immer: Trittin hat noch seinen Mao-Zuschlag - 42 Milliarden, bei der SPD etwa 38 Milliarden. Mit Parteien, die so denken, die so handeln, ist einfach inhaltlich eine Zusammenarbeit nicht möglich. Und deshalb ist es auch redlich, wenn wir vor der Wahl sagen, das wollen wir nicht. Wir hatten vier gute Jahre in der christlich-liberalen Koalition, wir wollen vier gute Jahre hinzufügen und stehen für anderes nicht zur Verfügung. Frage: Sie haben gesagt: Die FDP hat die CDU besser gemacht. Das war einer Ihrer Slogans in den Reden vergangener Monate. Dürfte es für Sie nicht genau so interessant sein, was die CDU aus der FDP gemacht hat, nämlich offenbar eine Partei, die verlernt hat, Optionen aufrechtzuerhalten? BRÜDERLE: Der Sinn der politischen Arbeit ist ja, Ziele zu haben, sie umzusetzen, Optionen zu haben und die Ziele aus den Augen zu verlieren, wäre nicht sinnvoll. Insofern haben wir zwar immer in Koalitionen auch unsere harte Arbeit, wir haben auch unsere Fehler gemacht, wir wollten mehr Entlastung. Deswegen haben wir 22 Milliarden steuerlich, Rentenversicherungsbeiträge und Praxisgebühr, abgeschafft - entlastet. Und dort ist eine Zusammenarbeit entstanden, die dazu geführt hat, dass man Deutschland beneidet in der Welt. 1,6 Millionen neue sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze. Dass wir in Europa durch einen Kurs pragmatischer Schritte zu einem Stück mehr Stabilität beigetragen haben, Währungsstabilität. Aber der Preis ist natürlich dafür, dass man nicht herumpicken kann, sondern wir bekennen uns zum klaren Kurs, den wollen wir umsetzen. Damit sieht der Bürger klar und ist eingestimmt, wie er sich entscheiden kann. Frage: Aber die Bilanz ist insofern auch offensichtlich, dass da eine Bundeskanzlerin ist, die mit ihrer Partei viele Optionen hat und sich offen dazu bekennt, und Sie in einer Ecke stehen, wo Sie auch nachher in den Koalitionsverhandlungen, wenn es denn dazu kommt, sagen müssen: Es geht nur mit Euch. Ist das eine starke Position? BRÜDERLE: Inhaltlich schon. Man kann ja auch sagen, wir machen es dann nicht, wenn wir es nicht vernünftig finden. Aber die vier Jahre Erfahrung zeigen ja, als Fraktionsvorsitzender ist es ja eine Drehscheibe, ganz eng mit meinem Kollegen Volker Kauder und Gerda Hasselfeldt, mit denen ich auch freundschaftlich verbunden bin, dass das letztlich gut funktioniert. Es ist der Fleiß der Menschen in Deutschland. Es ist unsere mittelständische Struktur, aber es ist eben auch die erfolgreiche Politik. Und unter dem Strich haben wir das gemeinsam gut gemacht, und darauf kann man aufbauen. Frage: Ihre Partei blickt zurück auf Höhen und Tiefen in den letzten zwölf Monaten. War die Krise der Partei selbst verschuldet zur Jahreswende? BRÜDERLE: Selbst verschuldet in dem Sinne, dass es uns nicht gelungen war, nach dem hervorragenden Wahlergebnis, dies in Politik so umzusetzen, wie die Erwartungen waren. Wir hatten höhere Erwartungen geweckt und konnten sie nur teilweise umsetzen. Das liegt auch daran, dass wir nicht wussten, dass wir die Euro-Krise kriegen und rund 20 Milliarden cash für den ESM und andere auf den Tisch legen mussten und deshalb eben nur diese 22 Milliarden Entlastung kamen und nicht mehr, die wir uns vorgestellt haben. Und das muss man eben auch mit deutlich machen. Das hat dazu geführt, dass in der Partei Unzufriedenheit entstanden ist, auch im Stil. Es war dann ein Aufbegehren von jüngeren Kollegen in der Partei. Und ich hab ja, was mir auch nicht leicht fiel - das sage ich ganz offen, ich war gern Bundeswirtschaftsminister -, dann den Weg frei gemacht in Rostock damals, indem ich mein Ministeramt niedergelegt habe vor dem Parteitag und mich für den Fraktionsvorsitz beworben habe - und nahezu einhellig gewählt wurde -, dass eine Neustrukturierung möglich ist an der Spitze. Die ist dann auch erfolgt, aber sie hat auch nicht den Erfolg gehabt, den man sich erwartet hatte. Deshalb kam die Diskussion, dass wir doch stärker eine Mischung brauchen von älteren Politikern und Politikerinnen und jüngeren. Und so haben wir es gemacht. Als wir die Wahl vorgezogen haben - und es war ja das Angebot von Phillip Rösler, dass ich beides übernehme, Spitzenkandidat plus Parteivorsitzender, es war eine breite Stimmung dazu in den Führungsgremien der Partei wie Bundesvorstand, Präsidium -, da habe ich mich dann entschieden, dass wir eine Teamlösung machen. Damit war die Personalfrage geklärt, seitdem geht's aufwärts. Frage: Jetzt haben Sie diese Mischung, seitdem geht es aufwärts, sagen Sie. Sie sind Fraktionschef, schauen auf 93 Fraktionsmitglieder und freuen sich gleichzeitig über aktuelle Umfragen, die Sie immerhin stabil über fünf Prozent sehen. Wie passt das zusammen? BRÜDERLE: Na gut, das Eichhörnchen ernährt sich mühsam. Wir haben einen hohen Prozentsatz Unentschiedener. Wir haben, das dürfen Sie nicht vergessen, eine Phase hinter uns, in der wir Umfragen hatten, die deutlich unter fünf waren. Jetzt gibt's keine mehr, die unter fünf ist, im Gegenteil, es geht bis sechseinhalb bis sieben Prozent hoch … Frage: … die Hälfte dessen, was Sie hatten. BRÜDERLE: Ja, aber der Wahltag ist ja am 22. September. Und dann wird ja abgezählt. Das ist die Umfrage, die zählt. Sie sehen ja, wenn sie die letzten drei konkreten Feldtests nehmen, die Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen, in Niedersachsen und Schleswig-Holstein, dort hatten wir Umfragen von zwei Prozent und kamen dann in Niedersachsen mit 9,9 Prozent raus. Das zeigt doch, dass sehr viel Bewegung in der politischen Landschaft ist. Christian Lindner hat es zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen geschafft, innerhalb von sechs Wochen aus zwei Prozent 8,6 zu machen. Frage: Herr Brüderle, darf ich Sie fragen: Wie real ist das, was aus Ihrer Sicht eine große Gefahr sein muss, ein rot-rot-grünes Bündnis? BRÜDERLE: Ich halte es für sehr real. Wir hatten ja einen Fall gehabt in Nordrhein-Westfalen. Frau Kraft konnte ja nur regieren mit der Unterstützung der Linken - Haushalt und Gesetzesänderung. Und erst nach der Neuwahl in Nordrhein-Westfalen hatte sie eine eigene Mehrheit, vorher war sie in der vollen Zusammenarbeit in der Kooperation mit den Linken - es war keine Koalition, aber nur mit der Unterstützung der Linken konnte sie überhaupt regieren und irgendwas machen. Also, wenn es um die Macht geht, ist das eine Möglichkeit, die real ist. Und Sie sehen ja, wie Herr Gysi sich geradezu anbiedert. Er sagt, er will mit dabei sein. Und das wäre natürlich mein Albtraum - eine Regierung Bundeskanzler Gabriel, Finanzminister Trittin, Außenminister Gysi, der vielleicht in Nahost die Friedensverhandlungen führt. Frage: Glauben Sie Sigmar Gabriel, wenn er jetzt sagt: Auf keinen Fall? BRÜDERLE: Er sagt das persönlich, ich kenne keinen Beschluss von Parteitagen der SPD. Bei uns wird das ja immer verlangt, dass wir noch zusätzliche Gremienbeschlüsse machen, in denen man das ausschließt. Es fing ja damals an in Sachsen-Anhalt in der Koalition mit der PDS, aus der SED heraus entstanden, der Vorstufe der Linken. Das Gleiche in Berlin, wo lange Wowereit mit der Linken koaliert hat, Mecklenburg-Vorpommern, in Brandenburg regieren sie noch gemeinsam. Das Tabu haben sie gebrochen, und deshalb glaube ich auch keinen Deut - wenn sie die Machtperspektive haben, sozialdemokratische Kanzler zu stellen, traue ich ihnen voll zu, dass sie das wie in Nordrhein-Westfalen auch im Bund machen. Frage: Herr Brüderle, Sie wollen im Falle eines Wahlsieges diese Mal mehr Sorgfalt in den Koalitionsverhandlungen walten lassen. Was heißt das, welche Fehler wollen Sie nicht wiederholen? BRÜDERLE: Wir haben zu schnell abgeschlossen, weil auch viel Euphorie bei der Vorstellung des Ergebnisses - fast 15 Prozent hatten wir noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik - dabei war. Die ersten haben sich schon vorgestellt, dass sie in den Ministerkonferenzen in Europa und der Welt präsent sind. Manche Fragen haben wir mit Prüfaufträgen formuliert, aber nicht ausformliert. Die Erfahrung zeigt, ein kleiner Koalitionspartner ist zweimal stark. Einmal ist er stark bei den Koalitionsverhandlungen, weil es ohne Konsens keinen Koalitionsvertrag gibt. Und das zweite Mal ist er stark bei der Wahl des Kanzlers, der Kanzlerin im Vorfeld und auch vielleicht noch bei den Haushaltsberatungen. Ansonsten ist man darauf angewiesen, dass man klare Arrangements hat und wechselseitig fair miteinander umgeht und deshalb müssen wir uns mehr Zeit nehmen für die Verhandlungen. Frage: In einer Woche kommt es zum Duell, zum Schlagabtausch, Streitgespräch - wie immer man es nennen will - zwischen der Bundeskanzlerin und ihrem Herausforderer. Welche Frage darf dabei aus Ihrer Sicht auf keinen Fall gestellt werden? BRÜDERLE: Es können alle Fragen gestellt werden, aber eigentlich ist eine zentrale Frage, die ich stellen würde, wenn ich dabei wäre: Weshalb machen wir dieses Duell? Wir wählen keinen Bundeskanzler, wir haben keine amerikanische Präsidialdemokratie. Das ist von der Medienwelt mehr oder weniger erzwungen, sage ich mal. Wer von denen Kanzler wird - es sei denn, sie machen eine große Koalition - entscheiden die kleinen Parteien. Welche Koalition zusammenkommt, welche Mehrheiten entstehen. Und die finden gar nicht statt. Da diskutieren zwei, die eigentlich überhaupt nicht direkt gewählt werden. Sondern es werden Parteien gewählt, und die Parteien setzen den Bundestag zusammen nach Wahlergebnissen, und danach wird der Kanzler gewählt. Das gab es früher auch nicht, es ist neu in der Medienwelt. Aber man braucht im Zuge der Boulevardisierung auch solche Ereignisse. Und so macht man etwas, was eigentlich den Wählern ein bisschen was vortäuscht. Sie wählen nicht die Kanzlerin. Frage: Und damit wollen Sie an den Tisch? BRÜDERLE: Ich hielte es für richtig, wenn man alle Parteien hätte, wie es auch jahrzehntelang Tradition in Deutschland war, weil man immer redlicherweise sagen musste, wir wählen ein Parlament. Und am Schluss kommt es auf die Relation zwischen den kleineren Parteien an, wer von den größeren Parteien den Kanzler stellen kann. Frage: Reden wir über Griechenland. Der Bundesfinanzminister hat klipp und klar gesagt, die Griechen bekommen ein drittes Hilfspaket. War das ein Fehler? BRÜDERLE: Dass wir noch Weiteres tun müssen, war bekannt. Es war immer die Aussage der Bundeskanzlerin, der Zeitpunkt ist Ende 2014, zu sehen, was wie gewirkt hat, was man dann macht. Und es weiß auch jeder, dass bis 2014 nicht alle Probleme in Griechenland gelöst sind und dass die europäischen Mittel etwa in Regionalfonds, in Strukturfonds weiter zur Stärkung der griechischen Wirtschaft eingesetzt werden. Das sehen wir ja auch in anderen Ländern, etwa in Osteuropa. Insofern war das nichts Neues. Aber es ist ein bisschen gefährlich, wenn man so eine Debatte führt. Wir haben ja den Grundsatz: Wir helfen. Solidarität ja, aber der Empfänger der Solidarität, der Hilfe, hat die Pflicht, das ihm Möglichste zu tun, die Ursachen seiner Misere zu beseitigen. Dieser Druck darf nicht nachlassen. Frage: Aber die Frage war ja, hat Wolfgang Schäuble einen Fehler gemacht? Wenn es stimmt, dass die Entscheidung für ein drittes Hilfspaket, zumindest der Zeitpunkt dafür noch nicht reif ist, und der Finanzminister sagt klipp und klar, das Paket muss kommen, was sagt uns das? BRÜDERLE: Also, dass der Zeitpunkt klar war, das ist unbestritten: Ende 2014. Aber was da kommt, weiß weder der Finanzminister im Detail, noch kann es jemand anders sagen. Wir haben aus guten Gründen eine sogenannte Troika. Das ist die Europäische Zentralbank, da ist der Internationale Währungsfond, die Europäische Kommission, die den Prozess in Griechenland begleiten und die permanent auch durch Delegationen vor Ort sich einen Eindruck verschaffen. Und die werden uns dann im Herbst oder Spätsommer 2014 Bericht erstatten, wo man sagen kann, wo man ansetzen muss. Und was man macht, hängt davon ab, welche Fortschritte Griechenland gemacht hat. Es kann nicht sein, dass man Strukturprobleme mit Geld zuschüttet, sondern es muss immer wieder auch die Gegenseite den Willen haben, eine anständige Steuerverwaltung aufzubauen. Frage: Mit anderen Worten, die Griechen müssen sich diese Hilfe verdienen? BRÜDERLE: Sie müssen loyale Vertragspartner sein. Solidarität ist keine Einbahnstraße. Frage: Ist Deutschland seiner Verantwortung in dieser Krise bisher gerecht geworden? BRÜDERLE: In großem Umfang, natürlich, sehr stark. Kein Land tut mehr als Deutschland. Frage: Ich frage das deshalb, weil ich mich gefragt habe, Sie sagen gleichzeitig, die ganze Welt beneidet uns. Wir stehen so gut da wie nie. Und die Umfragen geben tatsächlich eine große Zufriedenheit in der Bevölkerung her. Wenn wir so viel geholfen haben und am Ende unter dem Strich Deutschland immer stärker da steht, dann frage ich mich, was das für eine Hilfe ist, wo der, dem geholfen werden soll, nach wie vor sehr schwach ist, während der, der hilft, immer stärker wird. BRÜDERLE: Sie dürfen die Kausalität nicht verwechseln. Das gut Dastehen bezieht sich auf Deutschland. Gesamteuropa steht nicht gut da. Die meisten Länder sind in der Rezession, haben Abschwung und Riesenstrukturprobleme. Sie haben jahrelang die Reformen verschleppt, die in Deutschland durchgeführt werden, nehmen wir die Hartz-IV-Reform. Da haben auch die Sozialdemokraten - das erkenne ich voll an - eine große Leistung vollbracht und einen hohen Preis dafür bezahlt. Das ist so, das machen die dort noch nicht. Sie müssen jetzt nachholen, weil sie jahrelang geschludert haben. Das zweite ist, dass Europa insgesamt eine gespaltene Situation hat. Länder wie Irland kommen voran, Spanien macht massive Eingriffe, hat auch erste Erfolge dabei. Griechenland hat noch bescheidene Erfolge und hat auch noch überschaubare Eingriffe. Frage: Hat uns unsere Hilfe bisher geschadet? BRÜDERLE: Sie hat uns schon in einen hohen Verpflichtungsrahmen hineingeführt. Sie müssen sehen, wir sind bei allen Dingen mindestens mit 27 Prozent dabei, wenn etwas schief geht. Wenn andere Partner ausfallen, sind wir mit höheren Zahlen dabei. Wir müssen auch gegen unseren deutschen steuerzahlenden Bürgern verantworten, was wir an Risiken übernehmen. Man kann nicht sagen: eine Bürgschaft, das gilt ja nicht. Nein, wenn sie gezogen wird, wenn andere es nicht schaffen, dann müssen wir das Geld auf den Tisch legen. Und insofern ist es zwar verantwortbar, sonst hätten wir es nicht gemacht, aber es ist auch eine erhebliche Anstrengung, die wir unternommen haben. Frage: Das wird hier thematisch zugegebenermaßen eine tour d'horizon: Ich weiß, Sie sind nicht der klassische Außenpolitiker. Dennoch, Sie sehen die Bilder und Sie hören die Nachrichten über mögliche Chemiewaffen in Syrien. Ich weiß auch, der Außenminister, Ihr Parteifreund, warnt und sorgt sich. Wie lange können wir noch zuschauen, wenn das geschieht? BRÜDERLE: Zunächst mal müssen wir Klarheit haben. Auch die Amerikaner sagen ja eindeutig, es sei nicht klar. Gestern hat die Sprecherin des amerikanischen Präsidenten, des Außenministers auch, dargelegt, dass die Untersuchung der UNO, die ja vor Ort sind mit ihren Fachleuten, abzuwarten ist, ob vielleicht das inszeniert war zum Teil. Schrecklich ist es auf jeden Fall, und bedrückend ist auch, wenn man die Bilder sieht, wie Menschen dort umkommen, Kinder und Familien belastet werden. Die Möglichkeiten Deutschlands, in Nahost nachhaltig einzuwirken, sind sehr begrenzt. Die einzigen, die Potenz haben, sind die Amerikaner, dort mit hinein zu gehen. Wir können im Grunde ja nur versuchen, vermittelnd mitzuwirken, weil wir bei beiden Seiten, bei den Israelis wie auch auf der arabischen Seite hohes Ansehen haben. Das versucht Westerwelle. Ich finde, er macht das auch sehr gut, auch behutsam. Man muss bei der Sprache nicht mit dicken Backen herummarschieren, sondern auch mit Verständnis und Brücken bauend wirken. Das macht er sehr gut. Und es ist unsere Nachbarschaft. Die ganzen Träume, die wir hatten, auch in Deutschland, von der Demokratie in Nordafrika, vom Aufbruch, vom Arabischen Frühling, scheinen offenbar nicht zu greifen. Das war Illusion, wir müssen neue Realitäten sehen. rage: Mit anderen Worten, es ist doch ein Achselzucken, ein ohnmächtiges Achselzucken. Wolfgang Ischinger zeigt auf Bosnien, warnt vor einem zweiten Srebrenica. Das muss doch Folgen haben! BRÜDERLE: Ja, aber wir können es nur gemeinsam mit unserem Partner machen. Ohne die Amerikaner geht nichts, allein von den Fähigkeiten, von der Potenz. Wenn Sie dort eingreifen wollen, was jetzt auch in der Diskussion ist, ob die Amerikaner etwa ein Bombardement, wenn nachgewiesen wird, dass Assad Chemiewaffen eingesetzt hat, vornehmen. Das können nur Amerikaner. Wir können das gar nicht, wir haben gar nicht die Fähigkeiten. Und deshalb ist, glaube ich, die deutsche Rolle gut, nachdrücklich diplomatisch zu wirken, aber nicht - das ist eine gewisse Neigung bei deutscher Politik immer wieder - mit zu dicken Backen uns eine Rolle zuzuweisen, die uns nicht zukommt, die wir auch nicht ausfüllen können. Wir können es nur gemeinsam mit den Partnern. Frage: Die Ausläufer von Krieg und Krisen sind auch hier zu spüren. Während wir reden leben Menschen in Berlin-Hellersdorf in Angst und Schrecken, und es ist fast täglich zu hören von rechtslastigen Parolen. Was denken Sie, wenn Sie diese Bilder sehen und diese Töne hören? BRÜDERLE: Dass wir es anders machen müssen. Ja, wir müssen Menschen, das war immer unsere Vorstellung, politisches Asyl gewähren, die akut von Leib und Leben bedroht sind. Das ist in Syrien der Fall, das ist in verschiedenen Bereichen der Welt der Fall. Die nehmen wir auch auf, wir helfen denen auch. Das heißt aber auch, wenn die Probleme - hoffentlich bald - wieder geordnet sind und gelöst sind, dass sie auch eingeladen sind, wieder in ihre Heimat zurückzugehen und beim Wiederaufbau zu helfen. Ich darf erinnern, beim ehemaligen Jugoslawien hat kein Land mehr Flüchtlinge aufgenommen als Deutschland. Riesenzahlen. Großbritannien hat vielleicht fünf Prozent von dem gemacht, um nur mal die Relation zu sehen, was Deutschland gemacht hat. Es war aber später sehr schwer, sie zu motivieren, selbst mit Geldprämien, wieder in ihre Heimat zu gehen. Das ist ja die gemischte Empfindung, die gelegentlich da ist. Frage: Aber ich hatte nach der unmittelbaren Situation in Hellersdorf gefragt. Das ist ja eine Krise, die uns praktisch jetzt tagtäglich begegnet. BRÜDERLE: Ja, Hellersdorf ist auch nicht ganz Deutschland. Wir hatten auch solche Phänomene in der Nähe von Mainz, Ingelheim, wo ein großes Lager war und ist, da muss man mit der Bevölkerung auch - wir machen das bei jedem Verkehrsprojekt - mit ihnen diskutieren. Das ist die Aufgabe des Ministerpräsidenten, des Landrats, der Bürgermeister der Städte, dafür zu werben, dass das Menschen sind, die schreckliche Schicksale haben, die traumatisiert hierher kommen, die monatelang Bombardement, Verfolgung und Bedrohung unterliegen, dass wir ihnen auf Zeit helfen, da für Verständnis zu werben. Wenn man das nicht macht und die Antwort nur ist, sie in frühere Krankenhäuser einzuweisen und Polizei hinzustellen, ist das zu wenig. Da sind die örtlichen Behörden und die regionalen Behörden zu mehr verpflichtet. Frage: Ein Besuch in Hellersdorf als Zeichen der Solidarität, ist das für Sie denkbar? BRÜDERLE: Ist durchaus denkbar. Aber wichtig ist, dass man sich die Zeit nimmt und mit den Menschen spricht, dafür wirbt und nicht die Dinge eskalieren lässt und dann nur die Antwort hat des Polizeieinsatzes. Frage: Ein letztes Thema in diesem Gespräch. Hätten Sie die Gelegenheit, mit Edward Snowden zu reden, was würden Sie ihm sagen? BRÜDERLE: Ich würde versuchen, einen näheren Eindruck zu gewinnen über diese Person. Mein Eindruck ist, das sage ich ganz offen, noch zwiespältig. Einerseits finde ich sehr gut die Debatte, die wir jetzt führen, weil sie Sensibilität über Bürgerrechte und Schutz der Rechte unserer Bürger in Deutschland befeuert und beschleunigt hat. Und wir haben Ausgangspositionen, die besser sind als in allen Ländern. Auch die Amerikaner haben kein parlamentarisches Kontrollgremium für ihre Geheimdienste. Mich irritiert etwas, sage ich ganz offen, dass Herr Snowden als erstes nach China ging, für mich nicht der Musterfall eines Rechtsstaates, und als nächstes nach Russland ging, auch nicht der Musterfall eines Rechtsstaates. Er war Mitarbeiter eines Geheimdienstes, nicht Chorknabe im Kirchenchor. Er wusste, was er getan hat. Und er will helfen, an der Debatte aufklärerisch zu wirken, aber er wendet sich an Länder, deren Rechtsstaatlichkeit zweifelhaft ist. Warum ist er nicht in andere Länder gegangen, die rechtsstaatlich eindeutig sind? Und mein Verdacht - ich weiß es nicht, ich würde Herrn Snowden fragen: Haben die Chinesen dafür, dass Sie dort Residenz hatten, sich aufhalten können, in Ihre Festplatte geschaut? Haben die das in Moskau gemacht? Frage: Sie sind häufig in den USA, auch privat, ich glaube in Florida oder in Miami, kennen also ein wenig Land und Leute. Die Amerikaner lagern spätestens seit 9/11 dieses Verhältnis von Freiheit und Sicherheit, anders als wir Deutsche. Dieser Tag wird immer als Begründung angeführt, aber wir Deutsche haben auch unsere Erfahrung mit dem Terror gemacht. Können die Amerikaner in dieser Hinsicht von uns lernen? BRÜDERLE: Man kann immer wechselseitig voneinander lernen. Die Amerikaner haben ein ungebrochenes Verhältnis zu ihrer Geschichte. Deutschland ist durch die zwei großen Kriege und auch die nationalsozialistischen schrecklichen Verbrechen ohne diese Kontinuität. Da haben wir mehr Vorsichtsmaßnahmen aus guten Gründen. Deshalb sind wir im Parlament sehr wachsam. Deshalb haben wir diese Barrieren und Kontrollmechanismen eingebaut. Das ist auch gut so. Wir sollten uns das Bewusstsein halten. Und selbst wir als FDP, meine Kollegin Frau Leutheusser-Schnarrenberger, was wurde sie beschimpft von Rot und Schwarz als Unsicherministerin, weil wir gesagt haben, mit uns gibt es keine anlasslose Vorratsdatenspeicherung. Und Rot-Grün in Baden-Württemberg hat die Initiative auf den Weg gebracht, für sechs Monate, steht direkt drin im Koalitionsvertrag, anlasslose Vorratsdatenspeicherung einzuführen. Frage: Ja, aber haben Sie als Bundesregierung die Hausaufgaben gemacht? Wenn ich höre, Sie sind jetzt vier Jahre an der Regierung, die Legislaturperiode ist zu Ende, und plötzlich heißt es, die Sicherheitsarchitektur muss gründlich überarbeitet werden. BRÜDERLE: Ich glaube schon. Die parlamentarische Kontrollkommission, Sie sehen es auch beim NSU-Untersuchungsausschuss - da hat man sogar gemeinsam parteiübergreifende Linien gefunden -, dass dies bearbeitet wurde. Wenn plötzlich ein Ereignis auftritt, dann ist es natürlich schrill wieder im Bewusstsein. Mein Kollege Max Stadler hat ja schon einen Gesetzesentwurf vorbereitet, dass wir die parlamentarische Kontrolle weiter verschärfen. Also, da sind wir jedenfalls im Vergleich zu anderen bestens unterwegs. Nur, wenn es aktuell ist, dann kann alles nicht schnell genug gehen. Trotzdem, man muss das ohne Schaum vor dem Mund nüchtern analysieren und Entscheidungen treffen. Frage: Zum Schluss dieses Gespräches: Ihre Prognose für die FDP und den 22. September. BRÜDERLE: Ich bin sehr optimistisch und glaube - ich sage keine Zahl -, dass wir deutlich besser abschneiden werden als alle Umfragen bisher zeigen. Frage: Das war jetzt etwas vorsichtig. Hören wir es in Prozenten? BRÜDERLE: Mache ich nicht. Ich bin da kein Lotteriespieler. Anschließend liege ich da um ein Prozent rauf oder runter falsch. Dann heißt es wieder, der kann das nicht einschätzen. Da ist viel Bewegung in der Landschaft dabei und wenn die Umfragen sich heute zwischen fünf und sieben in der Größenordnung bewegen, und ich sage, es wird deutlich höher, dann ist das schon eine Aussage.

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