Beschluss des FDP-Bundesvorstandes: Für ein zeitgemäßes Einwanderungskonzept
Berlin. Der Bundesvorstand der Freien Demokratischen Partei hat auf seiner Sitzung am 19. Januar 2015 beschlossen:
Für ein zeitgemäßes Einwanderungskonzept
Für uns Freie Demokraten kommt es nicht darauf an, woher jemand kommt, sondern wohin jemand mit uns will. Deutschland ist seit langem Einwanderungsland. Schon früher haben Einwanderer unsere Gesellschaft bereichert und zu unser aller Wohlstand beigetragen, z.B. im „Wirtschaftswunder“ nach dem Zweiten Weltkrieg. Heute liegt die Gründungsquote bei Menschen mit ausländischer Herkunft über dem Durchschnitt und neue Einwanderer sind in der Regel deutlich besser qualifiziert als Einheimische. In Zukunft sind wir noch stärker als bisher auf Neuankömmlinge angewiesen. Wir Freien Demokraten sind überzeugt: Wir brauchen mehr qualifizierte Einwanderung.
Denn unsere alternde, schrumpfende Gesellschaft und der Wandel am Arbeitsmarkt führen zu einem wachsenden Fachkräftebedarf, der sich mit dem inländischen Potenzial allein nicht decken lässt. Ohne eine Nettoeinwanderung von über 200.000 Personen im Jahr wird die Zahl der Erwerbstätigen bereits in wenigen Jahren erheblich sinken. Der Wohlstand in Deutschland hängt damit von qualifizierter Einwanderung ab. Denn wenn Fachkräfte fehlen, kostet das weitere Arbeitsplätze – weil Unternehmen auf dem Weltmarkt zurückfallen oder Standorte verlagern müssen. Auch die künftige Stabilität der Sozialsysteme – gerade der Rente – hängt von der Einwanderung ab. Mehr qualifizierte Fachkräfte aus dem Ausland eröffnen zudem Chancen für zusätzliche Arbeitsplätze, weil sie die Innovationsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft insgesamt steigern. Weltoffenheit und Einwanderung sind somit im besten nationalen Interesse. Richtig organisiert und unter internationalen Regeln nützt Migration auch den Herkunftsstaaten.
Derzeit ist Deutschland nach den USA das weltweit beliebteste Ziel für Einwanderer. Mit Blick auf die Demografie dürfen wir uns hierauf aber nicht ausruhen. Im Schnitt der letzten Jahre sind wir weit unter den erforderlichen Einwanderungszahlen geblieben. Zudem liegen die Quellen des aktuellen Migrationsbooms größtenteils in Europa. Die südeuropäischen Arbeitsmärkte werden aber nicht ewig kriseln und Europa ist insgesamt ein alternder Kontinent. Daher müssen wir endlich den klugen Köpfen aus aller Welt den roten Teppich ausrollen. Es gilt, offen für Talente zu sein und aktiv um sie zu werben. Wir müssen den Blick deshalb neben der binneneuropäischen Migration im Rahmen der EU-Freizügigkeit vor allem auf die Regeln für Einwanderung von außerhalb der EU richten.
Die Themenfelder der gesteuerten Einwanderung und des Grundrechts auf Asyl werden in der öffentlichen Debatte oft vermischt – Gründe, Maßstäbe und Regeln müssen jedoch ganz andere sein. Wir Freien Demokraten stehen zu unserer humanitären Verpflichtung, Menschen, die vor Unrecht oder Gewalt fliehen, bei uns eine menschenwürdige Zuflucht zu garantieren. Dazu gehört auch, für die Zeit eines legalen Aufenthaltes am Arbeits- und Sozialleben teilhaben zu können. Das Arbeitsverbot für Asylbewerber gehört daher abgeschafft. Wenn Menschen Ihren Unterhalt selber erwirtschaften können, sollten sie nicht zum Bezug staatlicher Leistungen gezwungen werden. Zudem gilt: Wer am deutschen Arbeitsmarkt gebraucht wird, sollte hier bleiben können. Daher muss unabhängig vom Ausgang des Asylverfahrens die Möglichkeit bestehen, eine Aufenthaltserlaubnis nach den Regeln der Fachkräften-Einwanderung zu beantragen, sofern jemand nicht illegal eingereist ist.
Millionen Menschen in unserem Land haben schon heute ausländische Wurzeln. Zusammen mit den Einheimischen ohne Migrationsgeschichte bilden sie unsere offene Gesellschaft. In ihr sind gemeinsame Regeln, gegenseitiger Respekt und Bereitschaft zu Teilhabe unabdingbar für das Miteinander. Voraussetzung für Integration ist der Wille, die deutsche Sprache zu erlernen, und die vorbehaltlose Akzeptanz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung mit ihren republikanischen Werten. Die offene Gesellschaft ist auf dieser Grundlage jedoch nicht statisch, sondern dynamisch und divers. Sie wandelt sich – durch Einwanderung genauso wie unabhängig davon. Wir Freien Demokraten sehen in Veränderungen grundsätzlich zuerst die Chancen.
Um Menschen zur Integration zu befähigen ist in den letzten Jahren – auch unter liberaler Mitwirkung – der richtige Rahmen gesetzt worden, z.B. durch teils verpflichtende Sprachförderung und Integrationskurse. So wurden zum Teil jahrzehntelange Versäumnisse korrigiert, weil sich erst spät die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Deshalb ist die nachholende Integration eine wichtige Aufgabe für unsere Gesellschaft. Wir dürfen nicht blind dafür sein, dass viele bereits lange in unserem Land lebende Menschen immer noch Defizite haben. Sie müssen wir insbesondere durch bildungs- und arbeitsmarktpolitische Instrumente viel stärker einbinden.
In der Tradition Liselotte Funckes wenden wir Freien Demokraten uns gegen Ressentiments, Pauschalurteile und die politische Instrumentalisierung von Ängsten. Einwanderungs- und Integrationsdebatten müssen fundiert, differenziert und lösungsorientiert geführt werden. Auf der Weltbühne steht dabei immer auch Deutschlands generelle Offenheit für Einwanderer zur Diskussion. Wir wissen aus Erfahrung, dass sich auch Hochqualifizierte von Debatten abschrecken lassen, wie sie z.B. der ehemalige Berliner SPD-Senator Thilo Sarrazin ausgelöst hat. Toleranz, Offenheit, eine Kultur des Miteinanders – das sind für Freie Demokraten grundlegende Werte. In der modernen Welt sind sie zugleich unverzichtbare Standortfaktoren.
Folgende politische Maßnahmen sind Eckpfeiler eines zeitgemäßen Einwanderungskonzeptes und aus Sicht der Freien Demokraten vordringlich, um die Chancen der Einwanderung auch zukünftig für unser Land nutzen zu können:
- Die auf unser Betreiben begonnene Liberalisierung des Einwanderungsrechts und den Paradigmenwechsel der Blue-Card-Reform wollen wir fortsetzen und in einem übersichtlichen Konzept vollenden. Konkret heißt das
- das Jobseeker-Visum auf ein Jahr zu verlängern und zu einem vollständigen und klaren Punktesystem nach kanadischem Vorbild weiterzuentwickeln. Die Einwanderung soll nach Kriterien wie Bildungsgrad, Sprachkenntnis, Alter und Fachkräftebedarf am Arbeitsmarkt flexibel gesteuert werden. Dies gilt für den akademischen Bereich wie für die berufliche Ausbildung. Ein Punktesystem ist darüber hinaus eine weltweit eingeführte „Marke“ und sendet ein klares Signal der Offenheit an qualifizierte Einwanderer.
- Daneben wollen wir die Blue-Card-Gehaltsgrenzen in allen Berufen unter Berücksichtigung jeweiliger Tarifverträge auf ein realistisches Maß senken.
- Das deutsche Aufenthaltsrecht ist unübersichtlich und anwenderunfreundlich: alle einschlägigen Gesetze sollten in einem Einwanderungsgesetzbuch zusammengefasst werden.
- Die Einwanderungsmöglichkeiten für qualifizierte Fachkräfte nach Deutschland sind weltweit noch viel zu wenig bekannt. Die Werbung hierfür – etwa im Rahmen der Initiative „Make it in Germany“ – ist zu intensivieren. Wir brauchen eine konkrete und kohärente Anwerbestrategie.
- Darüber hinaus wollen wir die offiziellen Beratungsmöglichkeiten zu allen Aspekten der Lebensentscheidung „Migration“ für Einwanderungsinteressenten kundenorientiert ausbauen und im Sinne einer Lotsenfunktion möglichst aus einer Hand gestalten. Dies wäre ein Wettbewerbsfaktor für den Einwanderungsstandort Deutschland. Gerade Ausländerbehörden und Visa-Stellen der Botschaften sind zudem gefordert, sich überall als Aushängeschilder für die Gewinnung kluger Köpfe zu verstehen – statt als Abwehrbehörden.
- Dass ausländische Abschlüsse schnell anerkannt werden und bundesweit vergleichbar sind, ist besonders wichtig. Trotzdem ist dies aktuell eine der höchsten Hürden im Einwanderungsprozess. Zwar hat das Anerkennungsgesetz aus liberaler Regierungszeit bezüglich der verkammerten Berufe einiges vorangebracht; bei anderen Berufsbildern und Akademikern ausländischer Universitäten gibt es aber noch viele Probleme. Hier wollen wir mehr Bewegung und bundesweite Bildungsstandards. Auch ein Rechtsanspruch auf Beratung im Anerkennungsprozess ist notwendig.
- Sprache ist der Schlüssel für eine gelungene Integration. Die Deutschförderung für Fachkräfte und ihre Familien wollen wir deshalb ausbauen und die Mittel für Integrationskurse weiter erhöhen. Zudem soll Englisch zur ergänzenden Verkehrs- und Arbeitssprache der öffentlichen Verwaltung werden – zumindest in den für Einwanderung relevanten Bereichen. Das beseitigt Hürden am Anfang des Prozesses.
- Mit frühen Integrations- und Partizipationsmöglichkeiten wollen wir die Verankerung in der Gesellschaft stärken. Dazu zählen das Angebot einer beschleunigten Einbürgerung nach nur vier Jahren bei entsprechenden Voraussetzungen und die grundsätzliche Zulassung der doppelten Staatsbürgerschaft.
- Ehrenamtliche Organisationen, Vereine und gerade auch der öffentliche Dienst sollen Abbilder der Gesellschaft sein. Für Letzteren wollen wir gezielt fachlich geeignetes Personal mit ausländischen Wurzeln gewinnen. Diese Menschen sind Aushängeschilder für Deutschland und zeigen mit ihrer Tätigkeit bei Polizei, in Kitas oder Schulen auch, dass sie sich mit unserem Staat und den Werten unserer Gesellschaft identifizieren. Sie besitzen nicht nur interkulturelle Kompetenz, sie verkörpern sie auch. Als Vorbilder können sie gerade Kinder und Jugendliche positiv prägen.
- Bildungschancen unabhängig von der Herkunft sind aus liberaler Sicht ein zentrales Versprechen, erst recht in einer offenen und vielfältigen Gesellschaft. Sprache stellt hier einen Schlüssel dar. Daher müssen Sprachstandstests für jedes Kind und – nach Feststellung entsprechenden Bedarfs – verpflichtende Sprachförderung rechtzeitig vor der Einschulung überall sicherstellen, dass Kinder sich von Anfang an entwickeln können. Die kombinierte Sprachförderung von Eltern und Kindern ist ein wichtiges ergänzendes Angebot der begleitenden und nachholenden Integration.