BEER-Interview: Merkel verkennt die Zusammenhänge
Berlin. Die FDP-Generalsekretärin NICOLA BEER gab dem „Münchner Merkur“ (Mittwoch-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte SEBASTIAN HORSCH:
Frage: Frau Beer, 15 Prozent der Bürger hätten die FDP gerne wieder im Bundestag. Angenommen, die Liberalen wären drin: Hätten Sie als Fraktion tatsächlich geschlossen gegen das dritte Griechenland-Paket gestimmt?
BEER: Ja. Wir halten das Hilfspaket für rechtswidrig. Die Stabilität Europas war nicht in Gefahr, und es gibt große Zweifel, dass Griechenland wirklich die Schulden bezahlen kann.
Frage: Also sind Sie für den Grexit?
BEER: Wir sind der Meinung, dass ein temporäres Ausscheiden, eine anschließende Regeneration und möglicherweise ein Wiedereintreten Griechenlands in den Euro-Raum tatsächlich die richtigen Alternativen gewesen wären.
Frage: Sie selbst sind als Generalsekretärin angetreten, um der FDP nach herben Wahlschlappen bei ihrer eigenen Regeneration zu helfen. Wie läuft's denn?
BEER: Wir haben seit 2013 einen Neuaufstellungsprozess hinter uns. Uns geradezu gehäutet und auf das besonnen, was das freidemokratische Herzblut ausmacht. Ich habe die Partei noch nie so eng zusammengerückt gesehen.
Frage: Nächster Prüfstein sind die drei Landtagswahlen im März 2016. Wem werden Sie sich als Koalitionspartner anbieten? Nur der CDU?
BEER: Wir machen derzeit sicher keine Koalitionsaussagen, weder für den Bund noch für die Länder. Natürlich sind wir vor dem Hintergrund der Inhalte in alle Richtungen gesprächsfähig. Aber wir wollen unsere eigenen Anliegen in den Fokus stellen. Wir machen derzeit FDP pur.
Frage: FDP pur – was ist das?
BEER: Wir wollen den Einzelnen stärken, nicht bevormunden. Wer sich anstrengt, muss Freiräume haben, um voranzukommen. Wir wollen zudem mit der weltbesten Bildung die Grundlage legen, um Chancen in Erfolge umzuwandeln. Wir sehen auch die Risiken, aber wichtig ist uns, dass die Chancen nicht verloren gehen.
Frage: Von welchen Chancen sprechen Sie?
BEER: Sehen Sie sich Globalisierung und Digitalisierung an. Oder die Flüchtlingsdebatte: Ich finde, dass die Chancen viel zu wenig diskutiert werden, die daraus resultieren, dass 70 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg Menschen gerade in Deutschland Schutz und Zukunft suchen.
Frage: Passend dazu haben Sie Angela Merkels Rolle in der Flüchtlingspolitik kritisiert.
BEER: Die Kanzlerin muss endlich ihre Führungsrolle wahrnehmen. Sie muss klar öffentlich Stellung beziehen, aber auch endlich einen Masterplan auf die Beine stellen. Was wir nicht brauchen, ist das Durcheinander, das die Große Koalition veranstaltet. Es ist auch kein Wunder, dass Vizekanzler Gabriel und Außenminister Steinmeier den Fokus auf die Außenpolitik legen und eine europäische Lösung fordern. Im Inland sind sie ja Teil des politischen Versagens in der Flüchtlingsfrage. Seit Jahrzehnten wurde es versäumt, ein ordentliches Einwanderungsgesetz zu schaffen.
Frage: Gerade erst hat die Kanzlerin Zustimmung signalisiert...
BEER: ...um diese dann gleich wieder einzukassieren – mit dem Hinweis, dass dies angesichts der Flüchtlingslage nicht das wichtigste Problem sei. Ist unsere Bundesregierung damit überfordert, zwei herausfordernde Themen zu bewältigen? Merkel verkennt die Zusammenhänge: Wir brauchen gesteuerte Zuwanderung qualifizierter Fachkräfte, die vom Handwerk, dem Mittelstand händeringend gesucht werden. Das fehlt komplett.
Frage: Und das rächt sich jetzt?
BEER: Wir müssen feststellen, dass sich zwei Gruppen von Asylbewerbern vermischen. Es gibt einen großen Teil politisch oder religiös Verfolgter. Und es gibt viele, die gar keine andere Möglichkeit sehen, als pro forma Asyl drauf zu schreiben, wenn sie für sich und ihre Familie eine Zukunft absichern wollen. Weil wir keine Möglichkeiten gesteuerter Zuwanderung in den Arbeitsmarkt bieten.
Frage: Blickt man aktuell nach Sachsen, erlebt man stattdessen tiefe Ablehnung jeglicher Zuwanderung.
BEER: Ich glaube, hier sorgt auch Unwissenheit für Angst – und das ist ein guter Nährboden für Rattenfänger. Dem müssen wir uns entgegenstellen. Ich sehe hier auch die Schulen in der Pflicht. Sie sollten thematisieren: Was sind das für Menschen, die da zu uns kommen? Sie sollten über die rechtlichen Voraussetzungen und Ansprüche aufklären, die die Flüchtlinge hier haben. Und man kann auch den Vergleich ziehen, wie viele Schüler selbst einen Migrationshintergrund haben.
Frage: Können unsere Lehrer das leisten?
BEER: Ich glaube schon. Es wäre natürlich sinnvoll, ihnen einen Leitfaden mitzugeben. Den könnte die Kultusministerkonferenz erstellen. Und es bräuchte zusätzliche Mitarbeiter, um die vielen Flüchtlinge zu unterrichten.
Frage: Und wer soll das alles leisten?
BEER: Zum Beispiel auch pensionierte Lehrer, die Deutschunterricht geben. Aber wir sollten auch daran denken, Flüchtlinge zu aktivieren, die ja oft entsprechende Qualifikationen haben. Auch um minderjährige Flüchtlinge einfach an die Hand zu nehmen.