BEER-Interview: Lange Asylverfahren sind reines Politikversagen
Berlin. Die FDP-Generalsekretärin NICOLA BEER gab „Focus Online“ das folgende Interview. Die Fragen stellte MARTINA FIETZ:
Frage: Wenn die FDP an der Regierung wäre: Wie würde sie auf die aktuellen Herausforderungen in der Flüchtlingspolitik reagieren?
BEER: Um den riesigen Stau in der Antragsflut zu beseitigen, ist es dringend erforderlich, Gruppen zu bilden. Wir müssen pauschalisieren und durch standardisierte Verfahren Entscheidungen weiter beschleunigen. Vereinfachte Verfahren, wie wir sie für Syrer in Ansätzen bereits haben, müssen wir weiterentwickeln. Wir plädieren zum Beispiel für eine Stichtagsregelung für Menschen aus den Ländern, aus denen die Asylanträge überwiegend anerkannt werden. Das gilt für Syrien oder auch Eritrea. Es ist doch Wahnsinn, dass die von dort kommenden Flüchtlinge noch eine Einzelfallprüfung durchlaufen. Außerdem müssen wir den gesamten West-Balkan zu sicheren Herkunftsländern erklären. Das würde viel Druck nehmen…
Frage: Hierzu gibt es Debatten. Dauert Ihnen das alles zu lang?
BEER: Es kann nicht sein, dass die deutsche Verwaltung sechs, neun, zwölf Monate und mehr braucht, um ein Asylverfahren zu entscheiden. Das sollte maximal drei Monate dauern. Das ist reines Politikversagen. Jetzt ist schnelles Handeln gefordert. Vor allem aber müssen wir endlich ein Einwanderungsgesetz beschließen. Es rufen doch nur so viele Unberechtigte nach Asyl, weil es keine andere Möglichkeit der Zuwanderung gibt. Doch das führt zu der absurden Situation, dass wir Menschen vom Balkan in ihre Heimatländer zurückschicken, weil sie nicht politisch verfolgt sind, dabei werden einige von ihnen zugleich hier auf dem Arbeitsmarkt gebraucht. Wir müssen deshalb dringend Arbeitsvisa ausstellen. Dann verlangen die Menschen nicht mehr nach Asyl, sondern kommen mit ihrer Qualifikation als Pflegekraft oder Vorarbeiter. Momentan ermöglichen wir das mit der Blue-Card oder dem Job-seeker-Visum nur für Akademiker. Doch das Handwerk sucht derzeit dringend Fachkräfte – und keine Studierten.
Frage: Und diese Differenzierung der Ankömmlinge wollen Sie in den Erstaufnahmeeinrichtungen erreichen?
BEER: Es muss schnell gehen und es sollte in den Erstaufnahmeeinrichtungen passieren. In den Kommunen sollten nur die Menschen ankommen, die wirklich politisch verfolgt und traumatisiert sind oder ein Arbeitsvisum haben. Beide Gruppen brauchen dann schnellstens Normalität. Sie müssen in Wohnungen untergebracht werden und müssen schnellstens arbeiten können. Denn auch unter den politisch Verfolgten sind viele Hochqualifizierte, deren Talente Deutschland gut gebrauchen kann. Und die Kinder sollten möglichst schnell in die Schule gehen. Wir brauchen bestimmt keine Diskussion darüber, diese Kinder aus der Schulpflicht zu nehmen. Das ist unmenschlich und verschärft die Probleme, statt sie zu lösen.
Frage: Glauben Sie denn ernsthaft, ein Einwanderungsgesetz sei schnell hinzubekommen?
BEER: Das wird nicht leicht. Ich war sehr froh, dass CDU-Generalsekretär Tauber die Diskussion in seiner Partei angestoßen hat und fand es schade, dass er zurückrudern musste. Dennoch sehe ich zum ersten Mal Bewegung in der Debatte. Denn wir erleben jetzt, dass ein Teil der aktuellen Probleme das fehlende Einwanderungsgesetz ist. Denn es ist durchaus legitim, wenn Menschen aus anderen Ländern erklären, dass sie bei uns arbeiten und leben wollen. Für die ist das auch eine Ehrensache. Da wird zu Hause beobachtet: Hat der oder die es geschafft? Wir sind eine alternde, schrumpfende Gesellschaft. Wir könnten viele dieser Menschen gut gebrauchen, schicken sie aber zurück, weil sie über ein Asylverfahren Einlass finden wollten, das auf sie tatsächlich nicht passt.
Frage: Wird die Bevölkerung Ihrer Meinung nach auch noch eine Debatte über ein Einwanderungsgesetz ertragen?
BEER: Der jetzige Zustand ist doch für die hiesige Gesellschaft nicht mehr nachvollziehbar und schwierig. Die erlebt, dass so viele kommen, dass wir sie nicht problemlos unterbringen können, dass Zeltstädte aufgebaut werden müssen, dass es Auseinandersetzungen mit Anwohnern gibt. Wenn wir die Flüchtlingsgruppen von den klassischen Einwanderungswilligen trennen, könnten wir schon in den Herkunftsländern darüber informieren, welche Jobs gebraucht werden, welche Bewerbungen Aussicht auf Erfolg haben, wo konkrete Zuwanderungsmöglichkeiten sind. Wenn wir dann noch, wie in anderen Einwanderungsländern, Kriterien anhand des Bedarfs in der Wirtschaft entwickeln, können wir Zuwanderung steuern. Damit würde auch die Sorge vieler Menschen hier entkräftet, dass es keine Zuwanderung in die Sozialsysteme gibt, sondern in Arbeitsplätze, durch die Steuern und Sozialabgaben gezahlt werden. Das rettet uns langfristig den Sozialstaat. Denn wenn die Jahrgänge der Baby-Boomer in Rente gehen, sind unsere Sozialkassen nicht mehr finanzierbar.
Frage: Am Asylrecht selbst würden Sie nichts verändern wollen?
BEER: Nein. Das Verfahren muss verändert werden, nicht das Grundrecht. Das macht mich sogar stolz. Vor gut siebzig Jahren war Deutschland noch das Land, aus dem Menschen geflohen sind. Und jetzt kommen Menschen zu uns und suchen Zuflucht. Wir haben doch einen enormen Ansehenswandel errungen. Wir sind jetzt diejenigen, bei denen man Sicherheit garantiert sieht. Das müssen wir doch auch der Bevölkerung positiv vermitteln.
Frage: Davon hat man so gut wie nichts gehört.
BEER: Es war ein absoluter Fehler, die Krisenstimmung immer weiter anzuheizen. Allein vom Flüchtlingsproblem zu sprechen, ist falsch. Der Flüchtling ist nicht das Problem. Das Problem ist, dass der Bundesinnenminister und seine Länderkollegen die Dimension des Vorgangs viel zu lange unterschätzt haben und die Lage administrativ nicht in den Griff bekommen. Bei der ganzen Regierungskommunikation fehlt mir auch, die menschliche Dimension des Vorgangs zu zeigen.
Frage: Hat sich die Kanzlerin zu spät in die Debatte eingeschaltet?
Beer: Die Kanzlerin hat in Heidenau einen guten, angemessenen Auftritt gehabt. Aber insgesamt kommt sie zu spät. Es gibt Situationen, da darf man nicht erst die Stimmung abwarten, um dann darauf zu reagieren. Manchmal muss man auch den Mut haben, selbst für die richtige Stimmung zu sorgen. Es fehlt immer noch Merkels Rede an die Nation, eine Rede, die fernab von Programmatik Haltung und Richtung vorgibt.