BAHR-Interview für die "Passauer Neue Presse"
Berlin. Das FDP-Präsidiumsmitglied Bundesgesundheitsminister DANIEL BAHR gab der "Passauer Neuen Presse" (Mittwoch-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte CHRISTOPH SLANGEN:
Frage: Der Prozess gegen den Göttinger Arzt, der Wartelisten für Organspenden manipuliert hat, hat begonnen. Können Sie eine Wiederholung solcher Fälle heute guten Gewissens ausschließen?
BAHR: Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass ein Arzt eine solche kriminelle Energie entwickelt wie im Göttinger Fall. Wir können inzwischen aber wieder guten Gewissens zur Organspende aufrufen, weil wir Konsequenzen gezogen haben. Eine solche kriminelle Manipulation kann heute unterbunden werden. Es entscheidet nicht mehr ein Arzt allein über die Position auf der Warteliste. Die Manipulation der Warteliste ist strafbewehrt. Wir können heute sagen: Deutschland hat weltweit die strengsten und sichersten Regeln zur Organspende.
Frage: Es gab bereits vor den Enthüllungen über Manipulationen zu wenig Organspender. Wie sehr hat der Skandal zusätzlich geschadet?
BAHR: Es gab Verunsicherung durch den Transplantationsskandal in Göttingen und Regensburg und die Unregelmäßigkeiten, die in einzelnen anderen Kliniken festgestellt worden sind. Auch Ärzte sind verunsichert. Sie sind jetzt zum Teil auch zurückhaltender, Patienten und Angehörige anzusprechen. Wir wollen mit einer großen Öffentlichkeitskampagne Vertrauen zurückgewinnen. Die Krankenkassen sind aufgefordert, alle Versicherten anzuschreiben. Erste haben das bereits erfolgreich gemacht. Ich bin frohen Mutes, dass wir das wieder hinkriegen. Ich denke an die 12 000 Menschen auf der Warteliste: Wer sich derzeit der Organspende verweigert, will damit vielleicht auch den Arzt bestrafen, der sich gerade in Untersuchungshaft befindet. Er bestraft jedoch die 12 000 Menschen, die dringend auf ein Spenderorgan warten. Die wollen eine zweite Chance auf Leben.
Frage: Muss das Strafrecht noch weiter verschärft werden?
BAHR: Wenn die Vorwürfe sich als zutreffend erweisen, muss es harte Strafen geben - auch im Berufsrecht. Die Ärztekammern sollten dann auch den Entzug der Approbation vornehmen. Wir haben die Gesetze verschärft, indem etwa die Manipulation der Warteliste strafbewehrt ist. Weiteren Bedarf für eine Verschärfung sehe ich derzeit nicht.
Frage: Themenwechsel: Die Krankenkassen lehnen Anträge auf Heilmittel oder Reha-Leistungen zu nahezu 40 Prozent ab. Ist die hohe Ablehnungsquote nachvollziehbar?
BAHR: Es ist gut, dass Patientenvertreter diese Fälle öffentlich machen. Krankenkassen müssen unangenehme Entscheidungen treffen, ob Leistungen notwendig sind oder nicht. Aber es darf nicht zu massenhaften und pauschalen Ablehnungen kommen. Patienten haben Anspruch auf notwendige Leistungen. Offenbar gibt es Kassen, die ihre Kosten zu Lasten von Patienten und Versicherten mit pauschalen Ablehnungen senken wollen. Das ist nicht in Ordnung.
Frage: Was können Patienten tun, wenn sie sich ungerecht behandelt fühlen?
BAHR: Wir wollen den mündigen Patienten. Wir haben seine Rechte mit dem Patientenrechtegesetz gestärkt, auch gegenüber den Krankenkassen. Versicherte sollten sich an die Unabhängige Patientenberatung wenden, die wir auf solide finanzielle Beine gestellt haben. Wenn es beispielsweise zu pauschalen und massenhaften Ablehnungen nach Aktenlage kommt ist das falsch. Der Einzelfall muss immer objektiv geprüft werden. Wer sich ungerecht behandelt fühlt, sollte Widerspruch einlegen und seine Rechte gegenüber der Kasse nutzen.
Frage: Viele Krankenkassen verfügen über hohe Rücklagen. Warum eine so restriktive Handhabung bei Leistungen?
BAHR: Wir haben in dieser Legislaturperiode eine solide Finanzlage für die Kassen erarbeitet. Finanzschwierigkeiten können keine Ausrede sein. Die Kassen müssen ein Verfahren wählen, bei dem sie im Einzelfall prüfen, ob Leistungen notwendig sind oder nicht. Pauschale Ablehnungen stärken nicht das Vertrauen in die Kassen. Vertreter der Krankenkassen klagen zu Recht immer sehr lautstark, wenn es um Fehlverhalten von Ärzten oder Krankenhäusern geht. Aber sie selbst stellen offenbar auch nicht immer das Patienten- und Versicherteninteresse in den Mittelpunkt.