FDPLandtagswahlen

Baden-Württemberg wird der große Test

Christian LindnerChristian Lindner spricht über die anstehende Wahl in Baden-Württemberg
19.10.2015

Das Wahljahr 2016 ist in Sicht – und die Landtagswahl in Baden-Württemberg hat eine besondere Bedeutung für die Freien Demokraten. Darüber sprach der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner im Interview mit der "Heilbronner Stimme". Bei der Wahl im März könne die FDP einen Wechsel in Stuttgart hin zu einer mittelstandsfreundlicheren Politik erreichen sowie die eigene Trendwende dokumentieren. Außerdem gelte es, "ein Signal nach Berlin zu senden, dass diese sozialdemokratische Politik aller Parteien im Bundestag, die sich nur noch graduell unterscheidet, nicht weiter fortgesetzt werden kann", unterstrich er.

Die FDP habe sich stabilisiert und zu sich gefunden, betonte Lindner. Der FDP-Chef erläuterte die Hauptziele der Freien Demokraten: "Wir wollen den Einzelnen durch Bildung stark machen und vor Abkassieren, Bevormunden, Bürokratisierung und Bespitzeln wie durch die Vorratsdatenspeicherung schützen." Dieser Kurs komme anscheinend gut an: "Vor einem Jahr haben laut Umfragen acht Prozent sich vorstellen können, FDP zu wählen, dieses Jahr sind es bereits knapp 20 Prozent."

Lage in den Herkunftsländern verbessern

Mit Blick auf die Flüchtlingspolitik übte Lindner Kritik am Bundesinnenminister, der die notwendigen Vorkehrungen versäumt habe. "Die Bundespolizei hat bereits Anfang des Jahres gewarnt, dass bis zu einer Million Flüchtlinge kommen könnten. Da hätte man schon anfangen müssen, über ein europäisches Asylrecht zu sprechen, über logistische Vorbereitungen in Deutschland, über den Schutz der europäischen Außengrenzen", stellte der FDP-Chef klar. Angesichts der aktuellen Krise müssten die Zuwanderungszahlen aus den Krisenregionen dringend reduziert werden. Dies könne Deutschland erreichen, "indem wir Auffanglager finanzieren und die Situation dort verbessern", gab Lindner zu bedenken. "Mit jedem Euro, den wir in Deutschland für eine Erstaufnahmeeinrichtung ausgeben, könnten wir in den europäischen Grenzregionen das Zehnfache erreichen."

Lesen Sie hier das gesamte Interview.

Als die FDP 2013 an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterte, lag die Partei am Boden. Hat sie das mittlerweile aufgearbeitet?

Wir haben nach dem guten Ergebnis 2009 entscheidende Fehler gemacht: Wir haben nicht das Finanzministerium für uns beansprucht und beim damaligen Kernversprechen der steuerlichen Entlastung nicht genug erreicht. In dieser Zeit wurde zwar eine gute Finanzpolitik gemacht, aber diese Erfolge gingen nicht mit der FDP nach Hause.

Wie sehen Sie bisher Ihre Bilanz als Parteivorsitzender?

Die Partei hat sich stabilisiert und weiß wieder, wer sie ist. Wir wollen den Einzelnen durch Bildung stark machen und vor Abkassieren, Bevormunden, Bürokratisierung und Bespitzeln wie durch die Vorratsdatenspeicherung schützen. Vor einem Jahr haben laut Umfragen acht Prozent sich vorstellen können, FDP zu wählen, dieses Jahr sind es bereits knapp 20 Prozent.

Für wie wichtig erachten Sie die Landtagswahl in Baden-Württemberg im März 2016?

Das wird der große Test für uns. Hier können wir drei Dinge gleichzeitig erreichen: erstens einen Wechsel in Stuttgart, hin zu einer mittelstandsfreundlicheren Politik. Zweitens wollen wir für die FDP die Trendwende dokumentieren. Und drittens wollen wir ein Signal nach Berlin senden, dass diese sozialdemokratische Politik aller Parteien im Bundestag, die sich nur noch graduell unterscheidet, nicht weiter fortgesetzt werden kann.

Winfried Kretschmann hat sich als Ministerpräsident auch der Wirtschaft angenähert. Kostet seine Beliebtheit im Land die FDP Stimmen?

Die Rhetorik des Ministerpräsidenten und die Politik von Grün-Rot stehen nur in sehr losem Zusammenhang. Herr Kretschmann hat es geschafft, sich zu einer Art baden-württembergischem Präsidenten zu machen. Das mag geschickt sein, aber für das Land ist das auf Dauer nicht gut, weil wesentliche Fragen der Wettbewerbsfähigkeit ungelöst bleiben. Ich habe ohnehin den Verdacht, dass sich Kretschmann innerhalb der kommenden Legislaturperiode aus der Politik zurückzieht.

Keine EU der Rosinenpickerei

Sie haben Thomas de Maizière kritisiert, er habe ignoriert, dass Millionen Flüchtlinge kommen könnten. Wäre in dieser Situation aber nicht jeder überrascht gewesen?

Er hätte nicht überrascht sein dürfen. Die Bundespolizei hat bereits Anfang des Jahres gewarnt, dass bis zu einer Million Flüchtlinge kommen könnten. Da hätte man schon anfangen müssen, über ein europäisches Asylrecht zu sprechen, über logistische Vorbereitungen in Deutschland, über den Schutz der europäischen Außengrenzen. All das wurde versäumt.

Sie fordern wie viele andere auch eine faire Lastenverteilung in Europa. Wie soll das funktionieren, wenn es Länder gibt, die sich weigern?

Dann macht man es erst einmal ohne die. Und die Staaten, die finden, dass das richtig ist, gehen voran. Die anderen müssen dann allerdings signalisiert bekommen, dass eine EU der Rosinenpickerei keine Zukunft hätte. Jedes Land muss seiner Verantwortung gerecht werden.

Reicht es, wenn Kanzlerin Merkel ein Machtwort in Brüssel spricht?

Das wäre zumindest mal ein Anfang. Leider hat die Bundeskanzlerin mit ihrem Zickzack-Kurs in den letzten Wochen die Lage nicht verbessert. Grenzen auf, Grenzen zu, das hat unsere europäischen Partner brüskiert und eine enorme Sogwirkung entfacht. Das war der schwerste Fehler ihrer bisherigen Amtszeit.

Wie wollen Sie eine solche Völkerwanderung, wie sie gerade stattfindet, überhaupt steuern?

Wir können die Zuwanderungszahlen aus den Krisenregionen reduzieren, indem wir Auffanglager finanzieren und die Situation dort verbessern. Mit jedem Euro, den wir in Deutschland für eine Erstaufnahmeeinrichtung ausgeben, könnten wir in den europäischen Grenzregionen das Zehnfache erreichen.

Fachkräftemangel nicht alleine durch Familienpolitik zu lösen

An welchen Stellschrauben würden Sie noch drehen?

Der Westbalkan ist jetzt endlich zu sicheren Herkunftsländern erklärt worden, aber das reicht nicht. Wir müssen die Visapflicht für Menschen aus diesen Ländern wieder einführen. Es werden immer noch Zuwanderer, Asylbewerber und Kriegsflüchtlinge in einen Topf geworfen, obwohl es da große Unterschiede gibt. Wir sollten auch für Kriegsflüchtlinge aus Syrien, Eritrea oder dem Irak darüber nachdenken, dass wir sie hier dulden, bis der Krieg zu Ende ist. Wenn dann die Situation in ihrem Land wieder ruhig ist, können sie sich immer noch über den Weg der qualifizierten Zuwanderung bewerben.

Sie sehen Zuwanderung als Chance für den Arbeitsmarkt. Darf man überhaupt so argumentieren angesichts der Not vieler Menschen, die hierher kommen?

Wir werden in 30 Jahren gerade noch 30 Millionen Erwerbsfähige in Deutschland haben, heute sind es 42 Millionen. Diese Lücke lässt sich nur über Zuwanderung schließen. Das funktioniert nicht über Familienpolitik, wie andere glauben. Um das auszugleichen, müsste jede Frau im gebärfähigen Alter im Schnitt sieben Kinder bekommen.

Sie haben zu zivilem Ungehorsam aufgerufen, wenn Politiker mit erhobenem Zeigefinger zu uns sprechen. Was haben Sie damit gemeint?

Die Menschen werden von der Politik zu sehr drangsaliert. Werbeverbote, Rauchverbot, Dokumentationspflichten. Wir werden teilweise behandelt wie Vierjährige, die ihr Leben nicht selbst steuern können. Ich glaube, dass es an der Zeit ist, der Politik einmal zu sagen, dass wir der Souverän sind.

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